Steuerrecht - Schnepper Melcher Rechtsanwalt in Freiburg

Neues zum Schadenersatz und Schmerzensgeld im Arzthaftungsprozess u.a.

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat sich in zwei jetzt veröffentlichten Entscheidungen vom 08. und 15.02.2022 zur Grundlage und Berechnung von Schadenersatzansprüchen geäußert. Dabei hat er zunächst der sog. „taggenauen Berechnung des Schmerzensgeldes“ eine Absage erteilt, zum anderen festgestellt, dass bei der Bemessung von Schmerzensgeld Gesichtspunkte der Genugtuung zu berücksichtigen sind.

In dem Urteil vom 08.02.2022 (Az. VI ZR 409/19) ging es um einen 71 Jahre alte Patienten, der nach Aspiration von Nahrung als Notfall ins Krankenhaus gebracht wurde. Eine Röntgenaufnahme des Thorax deutete darauf hin, dass etwas mit dem Herzen nicht in Ordnung war. Bei einem EKG zeigten sich dann ST-Strecksenkungen, die einen Herzinfarkt sehr nahelegten. Das EKG wurde aber nicht zeitnah ausgewertet, und der Patient auf eine Normalstation verlegt. Nach weiteren Vorfällen und einer späten Herzkatheteruntersuchung starb er am nächsten Morgen.

Die Ehefrau des Mannes verlangte von der Klinik ein Schmerzensgeld von € 30.000. Das OLG Düsseldorf wertete es als Behandlungsfehler, dass dem Patienten nicht spätestens nach EKG und Labor der nächste freie Katheterplatz zugewiesen wurde. Die dringend gebotene Herzkatheteruntersuchung habe sich so um über zwei Stunden verzögert. Allerdings verwiesen die Düsseldorfer Richter auf verschiedene Vorerkrankungen und gingen davon aus, dass der Patient vermutlich ohnehin gestorben wäre. Als Schmerzensgeld sprach das OLG der Ehefrau daher nur 2000 Euro zu.

Der BGH hob dieses Urteil auf und verwies den Streit zur erneuten Prüfung an das OLG zurück. Zur Begründung betonten die Karlsruher Richter, dass das Schmerzensgeld zwar zunächst das Leid des Verstorbenen ausgleichen soll. Hinzu komme aber auch eine „Genugtuungsfunktion“.

Im Arzthaftungsprozess stelle es dabei „einen wesentlichen Unterschied dar, ob dem Arzt grobes – möglicherweise die Grenze zum bedingten Vorsatz berührendes – Verschulden zur Last fällt oder ob ihn nur ein geringfügiger Schuldvorwurf trifft“. Grobe Fahrlässigkeit könne dem Verhältnis zwischen Arzt und Patient ein „besonderes Gepräge“ geben, bei dem dann auch eine Genugtuung für den Patienten beziehungsweise hier seine Ehefrau erforderlich wird.

Allerdings bedeute ein grober Fehler nicht automatisch auch grobe Fahrlässigkeit. „Ein grober Behandlungsfehler ist weder mit grober Fahrlässigkeit gleichzusetzen noch kommt ihm insoweit eine Indizwirkung zu“, heißt es in dem Karlsruher Urteil. Für grobe Fahrlässigkeit müsse über die objektive Schwere hinaus „eine auch subjektiv schlechthin unentschuldbare Pflichtverletzung“ vorliegen.

Ein grober Fehler habe hier vorgelegen, so der BGH. Der Patient habe die Verschlechterung seines Zustands teilweise auch bewusst miterleben müssen. Die „subjektive Vorwerfbarkeit“ dieses Fehlers soll nun das OLG Düsseldorf noch überprüfen.

In dem Urteil vom 15.02.2022 (Az. VI ZR 937/20) ging es um einen Kläger, der bei einem Verkehrsunfall erheblich verletzt wurde. Über einen Zeitraum von mehr als zwei Jahren verbrachte er im Rahmen von 13 stationären Aufenthalten insgesamt 500 Tage im Krankenhaus, u.a. musste der rechte Unterschenkel amputiert werden. Der Kläger ist seither zu mindestens 60 % in seiner Erwerbsfähigkeit gemindert. Die Einstandspflicht der Beklagten (Fahrer, Halter und Haftpflichtversicherer des unfallverursachenden Pkw) steht dem Grunde nach außer Streit, zu entscheiden war über die Höhe des dem Kläger zustehenden Schmerzensgeldes.

Das Landgericht Darmstadt hatte dem Kläger ein Schmerzensgeld von € 100.000 zugesprochen. Auf die Berufung des Klägers hat das Oberlandesgericht Frankfurt die Beklagten zur Zahlung eines Schmerzensgeldes von insgesamt € 200.000 verurteilt.

Nach der vom Berufungsgericht hierbei angewendeten Methode der sog. „taggenauen Berechnung“ des Schmerzensgeldes ergibt sich dessen Höhe in einem ersten Rechenschritt (Stufe I) unabhängig von der konkreten Verletzung und den damit individuell einhergehenden Schmerzen aus der bloßen Addition von Tagessätzen, die nach der Behandlungsphase (Intensivstation, Normalstation, stationäre Reha-Maßnahme, ambulante Behandlung zuhause, Dauerschaden) und der damit regelmäßig einhergehenden Lebensbeeinträchtigung gestaffelt sind. Das Berufungsgericht hat diese Tagessätze – ausgehend von bestimmten Prozentsätzen eines durchschnittlichen Einkommens – für die verschiedenen Behandlungsstufen auf € 150 (Intensivstation), € 100 (Normalstation), € 60 (stationäre Reha) und € 40 bei 100 % Grad der Schädigungsfolgen angesetzt. In einem zweiten Rechenschritt (Stufe II) können von der zuvor „taggenau“ errechneten Summe je nach Gestaltung und Schwere des Falles individuelle Zu- und Abschläge vorgenommen werden. Das Berufungsgericht hat auf dieser Stufe wegen der erheblichen Vorerkrankungen des Klägers einen Abschlag vorgenommen. Von der nach der oben aufgeführten Methode grundsätzlich vorgesehenen abschließenden Erhöhung des Schmerzensgeldes bei Dauerschäden und besonders schwerwiegenden Verfehlungen des Schädigers (Stufe III) hat das Berufungsgericht im Streitfall keinen Gebrauch gemacht.

Der u.a. für Rechtsstreitigkeiten über Ansprüche aus Kfz-Unfällen zuständige VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat die Entscheidung des Berufungsgerichts aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Der BGH hat ausgeführt, dass maßgebend für die Höhe des Schmerzensgeldes im Wesentlichen die Schwere der Verletzungen, das durch diese bedingte Leiden, dessen Dauer, das Ausmaß der Wahrnehmung der Beeinträchtigung durch den Verletzten und der Grad des Verschuldens des Schädigers sind. Dabei geht es nicht um eine isolierte Schau auf einzelne Umstände des Falles, sondern um eine Gesamtbetrachtung aller Umstände des Einzelfalls. Dabei ist in erster Linie die Höhe und das Maß der entstandenen Lebensbeeinträchtigung zu berücksichtigen. Auf der Grundlage dieser Gesamtbetrachtung ist eine einheitliche Entschädigung für das sich insgesamt darbietende Schadensbild festzusetzen, die sich jedoch nicht streng rechnerisch ermitteln lässt.

Diesen Grundsätzen wird die vom Berufungsgericht vorgenommene „taggenaue Berechnung“ des Schmerzensgeldes nicht gerecht. Die schematische Konzentration auf die Anzahl der Tage, die der Kläger auf der Normalstation eines Krankenhauses verbracht hat und die er nach seiner Lebenserwartung mit der dauerhaften Einschränkung voraussichtlich noch wird leben müssen, lässt wesentliche Umstände des konkreten Falles außer Acht. So bleibt unbeachtet, welche Verletzungen der Kläger erlitten hat, wie die Verletzungen behandelt wurden und welches individuelle Leid bei ihm ausgelöst wurde. Gleiches gilt für die Einschränkungen in seiner zukünftigen individuellen Lebensführung. Auch die Anknüpfung an die statistische Größe des durchschnittlichen Einkommens trägt der notwendigen Orientierung an der gerade individuell zu ermittelnden Lebensbeeinträchtigung des Geschädigten nicht hinreichend Rechnung. Das Berufungsgericht wird daher erneut über die Höhe des Schmerzensgeldes zu befinden haben.

(Das erstgenannte Urteile kann hier nachgelesen werden: Urteil vom 08.02.2022, das Urteil vom 15.02.2022 ist noch nicht abgesetzt).