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Bundessozialgericht: Kosten für Magenverkleinerung nicht mehr nur bei ultima-ratio

In einem Rechtsstreit zwischen einer Krankenkasse sowie einem Krankenhaus über die Vergütung für eine bei dem Versicherten durchgeführte Magenverkleinerungs-Operation (sog. „Bariatrie“) hat das höchste deutsche Sozialgericht, das Bundessozialgericht (BSG) am 22.06.2022 entschieden, dass hier nicht mehr das ultima-ratio-Prinzip gelten soll.

Der Fall:

Der bei der beklagten Krankenkasse (KK) Versicherte beantragte bei dieser am 20.10.2017 die Kostenübernahme für eine operative Magenverkleinerung bei einem Body-Maß-Index von 55. Nach Einholung eines sozialmedizinischen Gutachtens des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) lehnte die KK die Kostenübernahme mangels primärer Operationsindikation ab. Eine multimodale konservative Therapie zur Behandlung der Adipositas über 6-12 Monate sei nicht dokumentiert, die Operation damit nicht ultima ratio. Den Widerspruch des Versicherten wies die KK nach erneuter Einholung eines Gutachtens des MDK zurück. Das Krankenhaus der Klägerin behandelte den Versicherten vom 13. bis 18.08.2018 vollstationär und führte eine Schlauchmagen-Operation durch. Die dafür in Rechnung gestellte Vergütung iHv € 7.203,85 beglich die KK nicht.

Das erstinstanzlich zuständige Sozialgericht hat die KK zur Zahlung von € 7.203,85 nebst Zinsen verurteilt. Das Landessozialgericht hat die Berufung der KK zurückgewiesen. Ob die vollstationäre Behandlung des Versicherten erforderlich gewesen sei, lasse sich nicht feststellen. Mangels (fristgerechter) Einleitung eines Prüfverfahren nach § 275 Abs 1 Nr 1 SGB V sei die KK mit dem Einwand fehlender Erforderlichkeit der Operation und des stationären Aufenthalts ausgeschlossen. Die nur im Verhältnis zum Versicherten bestandskräftig ergangene Leistungsablehnung berühre den Vergütungsanspruch des Krankenhauses gegen die KK nicht.

Die Entscheidung des BSG:

Eine Krankenhausbehandlung zur Durchführung einer bariatrischen Operation ist erforderlich, wenn die Behandlung dem allgemeinen Qualitätsgebot (aus § 2 Abs. 1 S. 3 SGB V) oder zumindest dem abgesenkten Qualitätsgebot des Potentialmaßstabes (nach § 137c Abs. 3 SGB V) entspricht und notwendig ist. Nach der bisherigen Rechtsprechung sollte eine bariatrische Operation nur als ultima ratio nach tatsächlicher Ausschöpfung konservativer Behandlungsmöglichkeiten im Sinne eines multimodalen Therapiekonzeptes erforderlich sein. Dazu stellt der Senat nun klar:

Das allgemeine Qualitätsgebot fordert, dass nach dem gesicherten Stand der medizinischen Erkenntnisse, also der bestverfügbaren Evidenz, in medizinischen Fachkreisen Konsens über die Wirksamkeit und Zweckmäßigkeit der bariatrischen Operation besteht. Unter der Berücksichtigung der besonderen Risiken und Folgen eines solchen Eingriffs bedeutet ultima ratio, dass die zielgerichtete irreversible Schädigung eines gesunden Organs nur dann als erforderliche Behandlung anzusehen ist, wenn die voraussichtlichen Ergebnisse dieses Eingriffs den voraussichtlichen Ergebnissen anderer Behandlungsoptionen eindeutig überlegen sind. Hierfür ist es nicht zwingend erforderlich, dass sämtliche andere Therapieoptionen zuvor tatsächlich ausgeschöpft sind. Es kommt insbesondere auf die Erfolgsaussichten der nicht-invasiven Therapieoptionen, die voraussichtliche Dauer bis zu einem spürbaren Erfolg, das Ausmaß der Folge- und Begleiterkrankungen der Adipositas und die dadurch bedingte Dringlichkeit der Gewichtsreduktion an. Im Falle des abgesenkten Qualitätsgebots verbleibt es bei der Voraussetzung der Nicht(mehr)verfügbarkeit einer Standardbehandlung.

Die Revision der beklagten Krankenkasse (KK) hatte im Sinne der Zurückverweisung der Sache an das LSG zur erneuten Verhandlung und Entscheidung Erfolg. Der Senat konnte auf Grundlage der Feststellungen des LSG nicht entscheiden, ob dem Krankenhaus der geltend gemachte Vergütungsanspruch gegen die KK zusteht.

Die Entscheidung ist noch nicht im Volltext veröffentlicht, hier kann allerdings der Terminsbericht des Gerichtes nachgelesen werden.