Medizinrecht, Arztrecht, Patientenrecht - Schnepper Melcher Rechtsanwälte in Freiburg

BGH bestätigt: Hypothetische Einwilligung ist vom Arzt zu beweisen!

Mit einem jetzt veröffentlichten Urteil vom 07.12.2021 hat der Bundesgerichtshof (BGH) seine schon im Jahr 2005 aufgenommene Rechtsprechung bestätigt: Beruft sich der behandelnde Arzt im Falle einer fehlerhaften Eingriffsaufklärung darauf, der Patient hätte auch im Falle einer zutreffenden Aufklärung in die betreffende Maßnahme eingewilligt (sog. „hypothetische Einwilligung“), so trifft ihn die Beweislast für diese Behauptung.

Das gilt jedenfalls dann, wenn der Patient zur Überzeugung des Tatrichters plausibel gemacht hat, dass er – wäre er ordnungsgemäß aufgeklärt worden – vor einem echten Entscheidungskonflikt gestanden hätte, wobei an die Substantiierung keine zu hohen Anforderungen gestellt werden dürfen. Vom Patienten kann nach dieser Rechtsprechung nicht verlangt werden, dass er – darüber hinausgehend – plausibel macht, er hätte sich im Falle einer ordnungsgemäßen Aufklärung auch tatsächlich gegen die durchgeführte Maßnahme entschieden.

Der Fall:

Eine damals 56-jährige Klägerin ließ sich im März 2011 im Rahmen eines stationären Aufenthalts in einem Krankenhaus eine Kniegelenksendoprothese implantieren. Die beteiligten Anästhesisten waren bei dieser Operation für das Anlegen des Schmerzkatheters, eines sogenannten „Doppelkatheters“, verantwortlich, den ein Assistenzarzt unter Aufsicht eines
Oberarzt einsetzte. Bereits unmittelbar nach der Operation litt die Klägerin unter Schmerzen und einem Taubheitsgefühl im Fuß sowie Sensibilitätsstörungen in den Zehen des linken Fußes. Schließlich wurden
irreparable Schädigungen des Nervus peroneus, des Nervus tibialis und des Nervus suralis bestätigt.

Mit der Behauptung, fehlerhaft behandelt und vor der Operation nicht hinreichend aufgeklärt worden zu sein, hat die Klägerin die Klinik wie die dort tätigen Ärzte als Gesamtschuldner auf materiellen und immateriellen Schadensersatz in Anspruch genommen. Diese hatten insoweit vorgetragen, die Beklagte hätte sich mutmaßlich auch im Falle einer ordnungsgemäßen Aufklärung des Eingriffs unterzogen.

Dazu hat der BGH zunächst wiederholend festgestellt, dass sich der Behandelnde, wenn die Aufklärung nicht den an sie zu stellenden Anforderungen genügt, nach der ständigen Rechtsprechung des Senats darauf berufen könne, dass der Patient auch im Falle einer ordnungsgemäßen Aufklärung in die Maßnahmen eingewilligt hätte (sogenannte „hypothetische Einwilligung“). An einen dahingehenden Nachweis seien aber, so der BGH, strenge Anforderungen zu stellen, damit nicht auf diesem Weg der Aufklärungsanspruch des Patienten unterlaufen werden kann.

Da das vorinstanzliche Berufungsgericht, das OLG Hamm, die an die plausible Darlegung eines Entscheidungskonflikts auf Patientenseite zu stellenden Anforderungen überspannt hat wurde das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung an das Gericht zurück verwiesen. Denn dieses hatte die plausible Darlegung eines echten Entscheidungskonflikts durch die Klägerin mit der Erwägung verneint, die Angaben der Klägerin reichten ersichtlich nicht aus, plausibel zu machen, dass sie sich damals anders entschieden hätte; darauf kommt es aber für die plausible Darlegung eines echten Entscheidungskonflikts gerade nicht an, denn der Patient müsse allenfalls – so wörtlich – „zur Überzeugung des Tatrichters plausibel (machen), dass er – wäre er ordnungsgemäß aufgeklärt worden – vor einem
echten Entscheidungskonflikt gestanden hätte, wobei an die Substantiierungspflicht des Patienten keine zu hohen Anforderungen gestellt werden dürfen“.

BGH, Urteil vom 07.12.2021, VI ZR 277/19, das hier nachgelesen werden kann.